Naked In The Wind , German Translation

Das Telefon klingelte: Es war Oberst Kashefi.

Wann geht Agha Wali in Rente?”

Heute oder morgen wird die Anweisung erteilt.”

,,Ich habe Arbeit für ihn.”

,,Danke, daß du meine Empfehlung nicht vergessen hast, Herr Oberst.“

Sage mir nur, ob er zu schwerer Arbeit taugt.”

…Laß dich von seiner Körpergröße und Lahmheit nicht beirren. Hier bei uns erledigt er ganz allein die Arbeit der Kantine und bedient die Angestellten.”

,,Ich komme heute nachmittag vorbei, nehme ihn mit und zeige ihm seinen Arbeitsplatz. Es wäre gut, wenn Du auch mitkommen würdest. Mir ist es lieber, wenn ich in deiner Gegenwart mit ihm rede.”

Ich hatte nichts dagegen, das Hühnerdepot und die Gartenanlage, die er seit Kurzem gemietet hatte, zu besichtigen. Er erzählt immer davon, wenn er auf Bitten der Nachbarn ein paar gerupfte Hühner mitbringt… Was für Obstbäume, was für ein herrlicher Garten! Es ist wie im Paradies”, sagt er.

Ich legte den Hörer auf und rief: Agha Wali, Agha Wali.”

Wenn man ihn ruft, um für die Angestellten Tee oder Akten in den Keller zu bringen, dauert es immer eine Weile, bis er seinen dicken Bauch hochhebt, mit langsamen Schritten ins Zimmer herein kommt und fragt: Was wünscht der Herr?”

,,Es gibt Arbeiten, die ich täglich erledigen muß”, sagt er..,,Das tue ich auch wohl oder übel, ob etwas früher oder später, das macht doch keinen Unterschied.” Tatsächlich machte er seine Arbeit, aber wie eine Uhr, die ein paar Minuten nachgeht..

Ich rief ihn wieder. Endlich kam er, mit den Schuhen schleifend und mit einem Stück trockenem Brot in der Hand. Zunächst fiel mir nicht auf, was er mit seiner Brille gemacht hatte. Ich sah nur einen weißen Fleck. Als er merkte, daß ich ihn beobachte, blieb er mitten im Zimmer stehen. Hinter seinem linken Brillenglas klebte ein Stück weißes Papier. Er schaute mich mit einem großen schwarzen Auge an. Er schien unausgeschlafen. Seine Nackenhaare standen gebrochen nach oben. Die breiten Schultern hingen schlaff herab. Wie immer trug er eine gestreifte Jacke und eine weite Hose. Er blieb stumm, kratzte sich am Kopf. Ich fragte ihn nach seinem Sohn, den wir General nannten.

..Gott sei Dank kam gestern sein Brief an”, sagte er Fir 18t ria großon. Erot jotal weiß ich meine Elt schätzen, schreibt er.”

Warum bist du dann so schlecht gelaunt”, fragte ich.”

Mit der Rente, die man als Bürodiener nach zwanzig Jahren Dienst bekommt, kann man nicht einmal flinf Kanarienvogel satt bekommen, geschweige denn fünf Menschen!”

Ich wollte erwidern:,,Du hast deinen Ruhestand selbst beantragt.” Das sagte ich aber nicht. Ich sagte: „,Wic siehst du denn aus, Mann?”

Das eine Auge hat einen Kurzschluß bekommen, aber Gott sein Dank ist das zweite Auge davon verschont geblieben. Es ist belanglos, es heilt schnell.”

Ich fragte ihn, was er von der Arbeit im Hühnerstall hält. Sie würde ihm gefallen. Warum auch nicht. sagte er. Hühnerzüchter sei kein schlechter Beruf.

„Herr Kashefi hat angerufen”, sagte ich.,,Er hat für dich schon ab heute eine Arbeit.

Seine Gesichtshaut war runzlig, sein gesundes Auge schien kleiner als sonst, er lächelte:

,,Das ging aber schnell. Sie hatten ihm doch erst vor Kurzen Bescheid gesagt.”

Er setzte sich an den Tisch, der auf der anderen Seite des Zimmers stand und während er das trockene Brot zerkleinerte, sagte er:,,Gott verdamme meinen Schwiegervater. Weil die Jandarmen ihn schikanierten, sollte ich unbedingt beim Staat arbeiten. Doch ein selbständiger Beruf wäre mir viel lieber gewesen. Da ist man sein eigener Herr und Diener.”

Wenn er morgens Gelegenheit dazu fand, setzte er sich in der Kantine an den Tisch, zerkleinerte ein Stück Brot für die Tauben, die sich hinter unserem Fenster versammelten. Dann stellte er sich mit der vollgefüllten Hand

and Fenster und ohne iamandan n etären warf or dia Krimal himane fiir dia hunarinan Tauhan die mit dom

Er wendete sich mir zu und sagte:

,,Sie müssen wissen, dass ich große Käfige oder Körbe aus Metall nicht tragen kann. Ich möchte Sie nicht in Verlegenheit bringen.”

Unser Nachbar ist kein schlechter Mensch”, erwiderte ich. Allerdings legt er sich nicht dorthin, wo Wasser durchsickern könnte. Er hat Dich doch schon gesehen. Wenn er dich nicht wollte, hätte er nicht angerufen.”

Agha Wali zerkleinerte das Brot, erhob sich. Wir gingen beide zum Fenster. Er hatte die Gewohnheit, die Brotstücke nicht auf einmal vor die Tauben zu werfen, sondern wartete immer wieder, bis sie fast alles aufgepickt hatten. Dann warf er ncues Brot hin. Wenn er sah, wie die Tauben sich auf das Brot stürzten, lächelte er und sagte:

Siehst du, was Gott mit uns anstellt? Es gab eine Zeit, in der diese stummen Wesen für unseren Unterhalt sorgten. Ich war noch ein Kind. Manchmal nahm mein Bruder ein großes Tuch und ging zu der Grube. Ich durfte ihn begleiten. Er ließ mich an der Grube stehen, stieg selbst hinab, packte dreißig bis vierzig dieser Vögel in das Tuch cin. Dadurch konnte mein Vater für eine Woche bis zehn Tagen das Geld für Fleisch sparen. Mein Bruder war ein pfiffiger Typ. Manchmal lockte er sogar Spätzen in die Falle. Die armen hatten doch kaum Fleisch. Ich konnte das Fleisch nicht essen, aber es war besser als das gefrorene Fleisch, das heutzutage angeboten wird.”

Er schaute mich an und sagte:,,Manche dieser Tauben sind sehr listig. Wenn ich morgens zu spät ins Büro komme, suchen sie woanders Futter und lassen ihren Mist hier. Aber was kann man tun. Ich muß ohne Lohn und Dankbarkeit für sie sorgen. Gib ihnen, wenn ich ab morgen nicht mehr da bin, etwas zu fressen. Das wird Dir Gott vergelten.”

Das werde ich tun und auch meinen Kollegen sagen, dass sie sich um die Tauben kümmern sollen, sei unbesorgt.”

Um halb fünf stiegen wir in Kashefis Wagen ein. Agha Wali setze sich auf den hinteren Sitz neben aufgestapelte, Icere Eierkartons. Auch ein paar Broschüren über Hühnerhaltung lagen da. Kashefi stellte den Rückspiegel ein und fuhr los.

Agha Walis Auge ist astigmatisch, oder?

Agha Wali nahm seine Brille ab, putzte mit dem Finger das Glas, das nicht mit Papier beklebt war: ,,Ich habe keine Schmerzen”, sagte er. Nur sehe ich den Zebrastreifen auf der Straße oder den Strommast ziemlich krumm, obwohl ich weiß, daß sie gerade sind. Aber ich sehe sie eben krumm und gebrochen. Ein Bekannter empfahl mir gestern, ein Brillenglas mit Papier zu bekleben. Seitdem sehe ich besser. Es scheint, daß ein Auge für mich schon immer ausgereicht hätte.” Dann lachte er und sagte: „Der Hühnerstall braucht doch keinen Späher, oder?”

Wir lachten und Kashefi reichte mir seine Pfeife, die ausgegangen war, mit einem Tabaksbeutel. Ich stopfte ihm. eine Pfeife. Der angenehme Tabakduft füllte den Raum. Ich wußte, daß er den Tabak von seinen früheren Kollegen, die an der Grenze tätig sind, zugeschickt bekommt. Ich fragte ihn, ob er ihn teuer kauft. Er sagte, seitdem er seinen Dienst gekündigt habe, tausche er mit Freunden Waren aus. Für Hühnerbrust und Hühnerschenkel bekäme er Captain Black.

Gut, laßt uns zum eigentlichen Thema kommen”, sagte ich. Du hast noch nicht gesagt, welche Tätigkeit du für unseren Agha Wali vorgesehen hast. Einen zweiten Agha Wali haben wir nicht. Er ist das Auge und das Licht unseres Amtes.”

Wir führen an einer mit Bäumen umsäumten Straße vorbei und bogen in Richtung Norden. Kashefi sagte: ,,Zaim, ciner meiner Arbeiter, ist seit zehn Tagen nicht mehr erschienen. Ich werde Agha Wali an seiner Stelle einsetzen. Die Arbeit ist ordentlich. Vermutlich läßt sie sich mit zwanzig Stunden in der Woche erledigen.”

Agha Wali setzte seine Brille auf, lehnte sich zurück und sagte:

„Wenn die Arbeit Spaß macht, wird das Mehr oder Weniger keine Rolle spielen. Sie darf aber auch nicht so sein, daß man sich dafür bei seiner Frau und seinen Kindern schämen müßte. Zwanzig Stunden in der Woche, ohne Überstunden……

,,Zaim hat nicht schlecht verdient”, erwiderte Kashefi. Er schickte sogar jeden Monat einen Teil davon in sein Dorf. Er blieb manchmal wochenlang draußen im Garten. Du bist auch wie Zaim. Niemand wird dich dort stören. Es ist gemütlich. Du hast dort auch einen Platz zum Schlafen. Es gibt allerlei Obstbäume, eine herrliche, weite und breite Landschaft, wie im Paradics.”

Meine Frau ist krank”, sagte Agha Wali.,,Ich habe auch noch zwei kleine Kinder. Ich würde es vorziehen, abends nach Hause zu gehen und morgens früh zur Arbeit zu kommen. Was soll ich tun? Die Kinder haben sich daran gewöhnt, daß ihr Vater zu Hause übernachtet.”

…Das ist kein Problem”, erwiderte Kashefi. Ich habe es nur gesagt, damit du dich dort zu Hause fühlst.” Agha Wali steckte den Kopf und die Brust nach vorn:

..Führen diese Straßen nach Norden, fragte er.

,,Ja”, sagte Kashefi.,,Wenn wir die Steigung nach Malek Abad hinter uns haben, wird das gekachelte Portal des Gartens mit dem Staatswappen zu sehen sein. Der Garten von Agha Shodja ist berühmt. Hast du davon noch. nichts gehört?”

,,Es war schon immer mein Wunsch, im Norden zu arbeiten”, sagte Agha Wali. Übrigens, benutzen Sie auch Brutmaschinen?”

Kashefi fuhr schnell über die rote Ampel, bog an der Kreuzung nach links: Ja”, sagte er. Die werden im Inland produziert.”

Solche Feststellungen sind nicht mehr aktuell”, erwiderte Agha Wali. Ich frage mich nur, ob der Einsatz dieser Maschinen nicht Einmischung in Gottes Werk bedeutet. Ich meine, weil die Kücken schneller wachsen.” Kasheli und ich lachten schallend. Auch Agha Wali mußte selbst lachen. Ich vermute, daß er die Frage wegen der Ungewißheit über seine künftige Arbeit gestellt hatte. Immer wenn er etwas nicht wußte und sein Gedächtnis es ihm nicht erlaubte, eine konkrete Frage zu stellen, schämte er sich, wechselte deshalb das Thema oder redete um das eigentliche Thema, zu dem er sich nicht zu äußern wagte, herum.

Ich sagle:,,Du brauchst keine Rücksicht zu nehmen. Wenn du arbeiten willst, kannst du dich hier genau nach der Art der Arbeit und der Höhe der Belohnung erkundigen. Wenn ich mich nicht einmische, hat das seinen Grund. Für mich bist du immer noch der Agha Wali aus unserem Amt und der Vater des Generals Said Delidjani.”

Es ist mir peinlich, solche Fragen zu stellen. Außerdem, ist es nicht so wichtig”, sagte Agha Wali. Und während er sich langsam zurücklehnte, fuhr er fort:

„Es ist schon bedauerlich, wenn man keine Ausbildung hat. In unserer Nachbarschaft gibt es einen Bediensteten, der in der Woche ein oder zweimal den Auftrag erhält, für eine Trauer- oder Hochzeitsgesellschaft zu kochen. Das reicht, um über die Runden zu kommen. Ich kann nichts, halte es aber auch zu Hause nicht aus. Es reicht mir schon, wenn ich irgendwo beschäftigt bin. Aber Sie haben immer noch nicht gesagt, welche Arbeit Sie mir geben wollen.”

,,Ich sagte schon”, antwortete Kashefi. „Ich werde dir Zaims Arbeit übergeben. Er war für die Hühner verantwortlich, die wir kalt auf den Markt bringen. Es gibt natürlich auch im Garten einiges zu tun, doch dafür sind jetzt andere verantwortlich. Wenn dir die Arbeit nicht gefallen sollte, mußt du ein paar Monate warten, bis unser Geschäft besser läuft. Dann könnte ich dich vielleicht woanders beschäftigen. Aber zur Zeit ist nur diese Stelle frei.”

,,Entschuldigen Sie, wenn ich zuviel frage”, sagte Agha Wali.,,Was machte Zaim genau. Gab er den Hühnern Futter oder machte er etwas anderes?”

Schau, jede Arbeit hat angenehme und unangenehme Seiten”, antwortete der Oberst. Man muß sie nur ernst nehmen. Zaim beherrschte die Arbeit, aber er neigte zur Über- oder Untertreibung. Du darfst nicht so arbeiten wie er. Du bist für deine Arbeit allein verantwortlich so wie die anderen ihre Arbeit zu verantworten haben. Du brauchst dich um das Züchten, Füttern, Pflegen der Hühner, um die Reinigung und andere Arbeiten nicht zu kümmern. Du bist nur für die Hühner und Hennen verantwortlich, die ausgesondert werden.”

Den Begriff,,Aussonderung” hatte ich im Zusammenhang mit Hühnerzüchtung schon gehört. Ich zündete eine Zigarette an und reichte sie Agha Wali. Dann wartete ich, bis der Krankenwagen, der auf der linken Fahrbahn der Autobahn fuhr, seine Sirene ausschaltete.

Du hast aussondern” gesagt. Muß nun Agha Wali die Hühner köpfen oder sie köpfen lassen”, fragte ich.

,,Agha Wali wird bestimmen, welche Hühner ausgesondert werden. Für diese Entscheidung muß jemand verantwortlich sein.”

Agha Wali zog ein paar Mal an der Zigarette, wendete seinen Blicke von den Bäumen am Straßenrand ab, wurde nachdenklich und faßte mit beiden Händen an seinen Kopf. Als er merkte, daß ich ihn beobachte, schien er sich zu schämen, senkte den Kopf und flüsterte vor sich hin. Vielleicht fühlte er sich verpflichtet, zu seinem Wort zu stehen, vor allem, weil ich die Arbeit vermittelt hatte. Wenn ich ihn gelegentlich mitnahm, um bei uns vor dem Häuserblock den Garten zu pflegen oder die Wege sauber zu machen, leistete ich ihm neben dem Lohn auch Beistand. Da spielte das Verhältnis zwischen Angestellten und Bürodiener keine Rolle. Auch meine Frau strickte

manchmal für seine Kinder eine Weste oder einen Pullover. Seine Frau brachte uns von Zeit zur Zeit Nüsse oder Maulbeeren. Sein Sohn Said war ein Liebhaber von Büchern, von Poesie.

Er sagte leise: „Ich habe oft Hühnerställe gesehen, aber noch nie in meinem Leben auch nur einem Spatz den Kopf abgeschnitten. Ich werde Ihnen erst einmal helfen, bis Sie jemanden gefunden haben. So bleibt die Arbeit nicht liegen.”

Wir hatten das Dorf unterhalb von Malekabad erreicht und mußten nun den kurvenreichen Weg hochfahren. Von dort aus wurden der Süden, Osten und Westen der Stadt sichtbar. Am Hang der Hügel um das Dorf ragten die Metallskeletten halbfertiger Bauten empor. Ringsherum war Baumaterial aufgestapelt. Man sah Lehmmauern großer Gärten und Steinhäuser in bunten Farben. Unten waren die Autobahn und zwei Nebenstraßen zu sehen, die zu den bogenförmigen Mauern aus Ziegelsteinen führten. Der Geruch von Mist und Dünger erreichte uns schon, bevor ein Hund bellend aus dem Garten herauskam.

Juli ist reinrassig”, sagte Kashefi. Ich habe ihm beigebracht, zu bellen, wenn er das Motorgeräusch meines Wagens hört.”

Juli knurrte und bellte, solang bis wir das Gartentor erreichten. Er hielt die Beine gespreizt und den Hals gestreckt. Doch sobald wir die Gartenanlage erreicht hatten, legte er sich, als habe er seine Pflicht erfüllt, auf die Erde und begann am seinem braunschwarzen Po, der verletzt zu sein schien, zu lecken.

Das laute Gelächter einer Frau und eines Mannes, die sich irgendwo hinter den Obstbäumen aufhielten, vermischte sich mit dem Gurren der Tauben unter dem Ziegeldach der Bude des Hauswarts. Der Hauptweg durch die Gartenanlage war auf beiden Seiten von gleichförmigen Buchsbäumen gesäumt. Der Weg mündete auf den ersten kleinen Platz, hinter dem das Haus des Grundbesitzers stand, ein Haus mit einer großen Terrasse, mächtigen mit Gips verzierten Säulen, Türen und Fernstern mit buntem Glas und Dachspitzen, die rundherum das Dach schmückten. Ein wenig weiter davon entfernt befand sich ein großes Schwimmbecken mit blau gestrichenen Wänden und klarem Wasser. Oberhalb des Beckens waren die mit schwarzem Zement gebauten Hühnerdepots mit niedrigen Türen und kleinen, gelben Fenstern zu sehen. Unweit davon stand ein Lastwagen auf einem Weg mit Kieselsteinen. Ein paar Männer waren dabei, die Last aus dem wagen abzuladen.

Kashefi sagte:,,Anscheinend sind die ausländischen Rassen, die wir bestellt haben, angekommen. Es geht aufwärts, Agha Wali.” Er bog vor dem ersten Saal nach links und hielt an einer Stelle mit zahlreichen Bäumen und Pflanzen. Hier waren neben einem kleinen Teich einige Holzbetten und Stühle aufgestellt. Ein paar Wasen und Blechbehälter mit eingepflanztem Gemüse standen um den Teich herum. Kaum hatten wir Hände und Gesicht gewaschen, kamen eine Frau und ein Mann von dem Hauptweg her auf uns zu. Die Frau ging etwa hundert Schritte dem Mann voraus. Der Wind drehte sich um ihren weißen Schleier und drückte ihn an ihr rosafarbenes Kleid. Kashefi zündete seine Pfeife an:

„Das ist Atefeb, die Frau des Wächters”, sagte er. Der andere ist ein Vorarbeiter. Über den Rest weiß nur Gott Bescheid.”

Als sich Atefeh uns näherte, hob sich den Zipfel ihres Schleiers hoch und legte ihn über ihr langes Kleid, das an ihre Beine klebte. Sie grüßte mich und Kashefi. Oberhalb ihres offenen Kragens steckte eine Sicherheitsnadel. Kashefi fragte sie, wo Nematollah sei und schaute dabei in ihre listigen Augen.

Er war vorhin hier. Vielleicht lädt er aus dem Wagen die Last ab. Soll ich ihn rufen?” ,,Entweder Du oder Nematollah müßt immer am Tor sein. Gehe jetzt, bringe uns Buttermilch.” Atefeh zog die Augenbrauen zusammen und machte sich auf den Weg. Als sie an dem Vorarbeiter vorbeikam, machte sie eine Bemerkung und lachte. Agha Wali warf mir einen Blick zu. Mir wurde es allmählich langweilig. Der Vorarbeiter, ein kräftiger Mann mit Arbeitsanzug, kam mit langsamen Schritten auf uns zu. Als er in unsere Nähe kam, grüßte er Kashefi ganz höflich, auch uns begrüßte er durch ein Kopfnicken. Kashefi ging langsam auf ihn zu, blickte ihn scharf an und sagte:

,,Haben wir zuwenig Arbeiter, daß du Nematollah einsetzen mußt?”

Der Vorarbeiter erwiderte:,,Ja, Herr, der Lastwagenfahrer hatte es eilig und Nematollah hatte nichts zu tun. Ich habe ihn hingeschickt, um den anderen beim Abladen der Kücken, die neu angekommen sind, zu helfen. Er sollte auch darauf achten, daß kein Fehler passiert.”

,,Du hattest ihn auch heute morgen nach Hesarak ins Labor geschickt, damit auch dort kein Fehler passiert.” Was soll ich tun, Herr. Der Arzt im Labor hatte die toten Hühner zurückgeschickt. Wir sollten ihm zwei lebendige, die krank sind, bringen. Er hat uns empfohlen, die neuen Hühner zwei Wochen lang isoliert zu halten. Entschuldigen Sie die Frage. Ist der Herr der Arbeiter, über den wir gestern gesprochen haben?” Ja”, sagte Kashefi.

Ich drehte den Kopf, um Agha Wali anzuschauen und merkte, daß er mich anstarrte. Der Vorarbeiter zog schnell ein paar Zettel aus der Brusttasche, nahm den saubersten heraus und sagte:

,,Afkham Restaurant, Safawi Club und das Frauen-Alersheim haben Hähnchen bestellt, täglich hundert. Es könnten auch hunderfünfzig sein, meinten sie.

Agha Wali stand neben einer Vase. Sein Spiegelbild schwang auf der Wasseroberfläche. Ich gab ihm ein Zeichen. Er setzte sich neben mich auf das Holzbett.

Ich sagte flüsternd:,,Du mußt dich entscheiden. Vorläufig ist dies das einzige Angebot.”

Leise sagte er: „Vielleicht gibt es etwas anderes und wir wissen es nicht. Das ist eben mein Los. Du siehst, wo mein Glück gelandet ist. Und das auch noch im Norden der Stadt, Ich denke, ich muß mich auf den Kopf stellen. damit die Welt anders aussieht.”

Kashefi gab dem Vorarbeiter einige Anweisungen, dann kam er, während wir immer noch lachten, auf uns zu.

,,Die Arbeit von Agha Wali verlangt starke Nerven und hohes Tempo. Dafür ist dann auch der Lohn, wenn die Arbeit gut vorankommt, ziemlich gut. Diese Bestellungen, die Eier, aus denen mit Hilfe von Maschinen Kücken herauskommen, bringen schließlich Gewinne, die uns erlauben, großzügig zu sein, den Lohn zu steigern und an Ende des Jahres auch noch eine Prämie zu gewähren.”

Der Vorarbeiter mischte sich ein und sagte:,,Erwähnen Sie auch die Verluste, Herr Kashefi.”

Kashefi lachte:

,,Er hat recht. Auf einmal überfällt new castle die Tiere, fegt einen ganzen Saal leer und wir können Tausende von kranken Hühnern begraben. Früher gab es hier besondere Öfen, die durch hohe Temperatur die toten Hühner in Tierfutter verwandelten. Aber nun müssen wir, bis wir diese Öfen wieder repariert haben, die Hühner begraben. Das alles hat aber mit deinem Lohn nichts zu tun, Agha Wali.“

Er wendete sich an den Vorarbeiter:

,,Du mußt jetzt die Übergabe der ausgefallenen und die zwei Kilo wiegenden Hühner an den Schlachthof organisieren. Wir werden jetzt mit Agha Wali uns dorthin begeben. Der Freund meines Freundes ist auch mein Freund.”

Der Vorarbeiter lächelte und ging auf den Hauptweg der Gartenanlage zu. Kashefi wendete sich noch einmal an ihn und sagte: Im Hühnerdepot werden die Hühner, die schlecht Eier legen oder die Hennen, die keinen gesunden Samen haben, schneller als andere ausfallen.”

Atefeh erschien mit einem Krug Buttermilch und weißen Plastikbechern von hinter den Bäumen kommend auf dem Hauptweg. Kashefi stand mit dem Gesicht zu uns und konnte nicht sehen, wie der Vorarbeiter bei ihrem Anblick rasch ein Stück Papier auf sein linkes Auge legte und seinen Bauch, wie Agha Wali, herausstreckte. Agha Wali sah er hätte es aber nicht sehen sollen wie die wippenden Brüste Atefchs einen Becher berührten und ihn auf die Erde warfen.

Kaum hatten wir die Buttermilch getrunken, begaben wir uns zu den Depots. Kashefi sagte:

„Ein Teil der Hühner werden früher als andere ausgesondert. Das ist nicht gegen ihre Natur. Sie werden es merken, wenn Sie sie aufmerksam beobachten. Die, für die die Zeit zum Sterben gekommen ist, sind ängstlicher als andere. Sie drehen sich, sobald die Tür des Depots aufgeht, um, sie kommen sogar ein paar Schritte auf einen zu.

Der erste Saal war überfüllt von weißen Hühnern, die sich übereinander wälzten. Ein Paar schwarze Gummistiefel standen neben der Tür. Kashefi sagte:

Die sind fleischig. Sie werden fett, weil sie nicht anderes können. Agha Wali muß jeden Tag einigen dieser Hühner den Hals duchschneiden. Das ist manchmal wirklich schwer. Es gibt Leute, die, wenn sie einmal mit Töten begonnen, das heißt Blut gesehen haben, nicht mehr aufhören können. Am Ende merken sie, daß sie uns statt zu nutzen, Schaden zugefügt haben. Man muß Geduld haben, auch Interesse und natürlich Disziplin.”

Er zeigt auf die Stiefel und sagte zu Agha Wali:

Die muß man bei der Arbeit anziehen, um die Übertragung von Mikroben zu vermeiden. Ziehe sie an und versuche, einen Huhn zu fangen.”

Agha Wali warf mir einen bettelnden Blick zu. Dann nahm er die Stiefel, aber sie paßten ihm nicht:

,,Die sind mir zu klein, sie sind auch sehr schmutzig”, sagte er.

,,Nimm die anderen, die sind größer. Innen sind sie sauber.”

Agha Wali zog die Stiefel an und begab sich zu den Hühnern, die vor ihm flüchteten. Kashefi rief: .,Nimm die Henne, die vor sich schlummert!”

Agha Wali fing die Henne und brachte sie nach vom.

…Schau, diese Henne hat wenig Blut. Vermutlich ist sie krank. Aber ihr Fleisch ist noch nicht infiziert, somit gehört sie zu den abgesonderten, die Gewinn bringen.”

Er nahm die Henne und legte sie auf die Erde:

,,Du darfst die Vernichtung nicht als Beruf auffassen. Du mußt nur soviel Tiere Köpfen, wie wir brauchen, das heißt soviel wie bestellt.”

Er drehte sich zu mir und sagte leise, wie einer, der ein Geheimnis preisgeben will:,,Agha Wali darf weder von der Arbeit begeistert sein, noch sie hassen, er muß wie ein Roboter arbeiten.

Als wir am Morgen in der Nähe der Kühlanlage gestanden hatten und ich Agha Wali versprochen hatte. mich um die Tauben zu kümmern, erzählte er mir von seinem Nachbarn, der auf der gegenüber liegenden Seite des Hofes ein Zimmer gemietet hatte. Ich war betroffen und erstaunt, daß er bisher mir nichts darüber berichtet hatte. Vor etwa zwei Monaten hatte der Nachbar die Familie von Agha Wali gebeten, während seiner Abwesenheit seine Kanarienvögel mit Futter und Wasser zu versorgen. Doch er, Agha Wali, hatte die Vögel vergessen und seine Frau wußte nicht, wo sie den Zimmerschlüssel des Nachbarn hingelegt hatte. Als der Nachbar von der Reise zurückgekommen war, entschuldigte sich Agha Wali.,,Ich schäme mich”, sagte er zu ihm. .,Ich hörte, wie die Vögel sangen, aber ich hatte völlig vergessen, was ich hätte tun sollen. Schade, ich hätte meinen Sohn bitten müssen, sich um die Vögel zu kümmern.”

Im nächsten Depot haben wir alle auf Empfehlung von Kashefi Stiefel angezogen. Dann gingen wir zu den Brutmaschinen. Kashefi nahm aus dem Korb, der neben einer Maschine stand, drei Eier und sagte:

„Die Regierung unterstützt die Hühnerindustrie. Die sind frisch, trinkt.“

Die Eier waren noch warm. Wir tranken sie aus. In dem Ei, das Agha Wali nahm, war ein tropfen Blut. Er konnte das Ei nicht trinken. Er beugte sich nach unten und starrte auf ein Kücken, das gerade aus einem Fi heraus geschlüpft war. Das Kücken rannte rasch zu dem mit Glas geschütztem Teil des Apparats.

Kashefi sagte:,,Jetzt bist du offiziell bei deiner Arbeit. Du hast verstanden, was ich dir gesagt habe. Einfach gesagt: Du mußt die Hühner, die Eier legen und viel Fleisch abgeben können, herausfinden und sie von den Ausfallhühner trennen. Wir erkennen sie alle an den farbigen Ringen um ihre Beine. Schau den Hahn mit der auffallenden Krone an. Er hat die Nummer zweihundertfünfunddreißig.”

Agha Wali nahm seine Brille ab und wischte mit den Fingern seine Augenwinkel.,,Ich hätte viel früher an solche Tätigkeiten denken müssen, nicht jetzt im Alter.”

Mit halb geöffnetem Mund und ausgeatmeter Brust zog er seine Jacke aus und legte sie über seinen Arm.

Kashefi sagte: „Es wäre ganz gut, wenn du gleich heute mit der Arbeit beginnen würdest. Seit zwei Tagen ist unser Programm durcheinander geraten. Wenn du einen Vorgeschmack bekommen willst, kannst du ein paar Hühner köpfen. Ich hätte die fleischigen Hühner für diese Woche längst zum Markt bringen müssen.” Agha Wali schaute mich an. Er wollte mir seine Jacke geben, Kashefi lachte und sagte: ..Nur keine Eile, das Depot ist woanders.”

Wir zogen die Stiefel aus und verlicßen den Raum. Ein Arbeiter reinigte gerade den Innenraum des Lastwagens. Andere luden Käfige mit Hühnern auf. Um Kashefi Achtung zu erweisen, hielten alle solange inne, bis wir an ihnen vorbeigingen. Hinter dem Lastwagen sah die Landschaft wie eine Weide aus. An manchen Stellen gab es

kleinere und größere Töpfe, in denen Gemüse und kratze die Nase und ich äußerte mein Mißfallen.

eingepflanzt waren. Es stank. Agha Wali rupfte und

Herr Kashefi sagte:,,So riechen alle Hühnerdepots. Das ist der Geruch vom Blut und Mist der Hähne. Du wirst dich daran gewöhnen. Laßt uns jetzt zum Schlachthof gehen..

Ein Haufen Sägemehl und Stroh lag auf unserem Weg. Die Blatter der Bäume waren wegen Wassermangel vergilbt. Die Vogelhäuschen auf den langen dürren Asten der Platanen schienen ungeschützt. Die Wolke am Himmel sah aus wie eine Federbettdecke. Wenn ein kleiner Windstoẞ kam, flogen ein paar Federn aus den demolierten Käfigen heraus. Etwas weiter vorn liefen ein paar Truthähne und zwei Raben um einen Haufen Sand und Muscheln herum. Die Truthähne bewegten schnell ihre schlaffen Halsmuskeln hin und her.

Kashefi sagte:,,Wir lassen sie frei laufen, damit sie Kraft gewinnen. Manchmal legen wir Eier unter ihnen, dann leisten sie dasselbe wie eine Brutmaschine. Hier dienen alle miteinander einem Ziel: Mehr produzieren, weniger ausgeben.”

Agha Wali sagte:,,Sehen wir von dem Geruch ab, aber der Boden hier eignet sich vorzüglich für die Landwirtschaft. Schade, daß er mir nicht zur Verfügung steht, sonst würde ich jede Elle zu Gold machen.”

„Daran denke ich auch”, sagte Kashefi.,,Aber im Gegensatz zu Hühnerhaltung bedarf die Landwirtschaft einer langen Planung.”

Als wir uns den Raben näherten, flogen sie zu den höchsten Ästen der Bäume. Bei einem der Raben klebte etwas am Schnabel. Als er sich auf den Ast setzte, fiel es herunter. Noch vor uns hatten einige graue Mäuse das Ziel erreicht. Ihre Hintern und ihre blutigen Schnabel bewegten sich schnell. Ihre Schwänze waren nach oben gerichtet. Sie kauten etwas. Als sie uns gewahr wurden, machten sie sich unwillig davon. Es schien als würden sie im Hintergrund warten, bis wir vorbei gegangen sind, damit sie wieder zurückkommen können. Vor uns lag ein Hühnerhals, dessen Fleisch fast zu Ende gekaut war. Hinter dem Sand- und Muschelhaufen lagen noch ein paar Fleischstücke. Kashefi zündete seine Pfeife an.

,,Siehst du, Agha Wali, diese disziplinlose Arbeiter haben den Boden nicht ausreichend gegraben. Sonst hätten die Tiere nicht das Fleisch ausgraben können. Da kann man auch nicht viel machen. Wir müssen warten, bis die Maschinen repariert sind. Trotzdem darf das Fehlen eines Arbeiters nicht dazu führen, daß nützliches Fleisch so vergeudet wird. Man muß alles daran setzen, um das Fleisch dorthin zu schaffen, wo es gebraucht wird. Wenn wir unser Tischtuch vor die Hühner ausschütten oder wenn wir ein Stück Brot auf der Erde finden, es aufheben und auf unser Auge legen, bedeutet dies, daß wir jede Art von Vergeudung vermeiden wollen.” Agha Wali lachte: Mein Bauch ist deswegen so dick geworden, weil ich beim Essen nichts verkommen lassen wollte. Immer wenn meine Frau und Kinder mit Essen aufhörten, sagte ich, es sei zu schade und aß weiter.”

Zwei Büffel mit gebogenen Hörnern und gesenktem Kopf grasten jenseits der Ulmen. Einer brüllte, hob auf einmal die Pfoten und stemmte sie auf den Rücken des anderen.

Kashefi sagte:,,Hier war früher alles perfekt für die Kühe eingerichtet. Agha Shodja war ein Genie. Er war international bekannt. Er kaufte sogar von Araber den Boden und verwandelte ihn zum Weideland und Hühnerfarm für Israelis. Nach seinem Tod blieb diese Gartenanlage für lange Zeit ungenutzt, bis ich kam. Doch auch ich hatte bisher nicht genügend Zeit, um mich um die ganze Anlage zu kümmern. Der Wächter und der Vorarbeiter sind zwar sehr erfahren, aber sie sind nicht mit Herz dabei. Ich hätte sie längst hinaus geworfen, wenn ich ihnen nicht Prämien gezahlt hatte.”

Man hörte sie im Hintergrund einen Streit. Der Vorarbeiter erreichte uns in Begleitung eines schlanken Mannes. Der Mann hinkte ein wenig, die Schultern waren nach vorn gebeugt. Wie ein Bewässerungswächter trug er ein langes Hemd ohne Kragen. Ein Hosenbein hatte er hochgekrempelt. Er war ein Mann mittleren Alters, von der Sonne gebräunt, mit einem Dreitagebart.

Der Vorarbeiter kam näher. Ich habe die Nase voll von diesem Nematollah, diesem Leichtfuß. Er hat vierzig Eier legende Hühner zum Schlachthof gebracht, Als ich ihn aufforderte, achtsamer zu sein, fuhr er mich wie ein Hund an.,,Gehen wir zu Herr Kashefi”, sagte er. Nun gut, hier ist der Herr.

,,Herr”, sagte Nematollah…Sie können hier jeden Arbeiter fragen. Alle wissen, dass ich nic lüge. Er selbst hatte mich angewiesen, vier Käfige zum Schlachthof zu bringen. Ich schaute mir die Hühner an. Sie waren nicht fleischig. Aber ich wollte ihm nicht gleich sagen, dass er sich geint hatte. Wenn ich ihn jetzt darauf anspreche und sage, dass er dem Herm geschadet hat, stellt er sich dumm. Er will mir zuvorkommen. Genauso hat er den armen Zaim behandelt, so oft, bis er ihn ins Unglück stürzte.”

,,Mir reicht es jetzt”, sagte Kashefi. Ich habe genug von euch. Warum müsst ihr immer wie Hunde und Katzen aufeinander losgehen?

Nematollah begann zu weinen:

Bei Gott, Herr, mir steht das Wasser bis zum Hals. Laß mich dir einmal mein Herz ausschütten. Hier ist alles völlig durcheinander. Wäre es doch wenigstens wie früher.”

Bringe jetzt, anstatt zu jammern, die Hühner dort hin, wo sie hingehören”, sagte Kasheti. Und du schickst zwei Arbeiter nach oben!”

Dann wendete er sich an Agha Wali: Siehst du, mit welchen Leuten ich mich herumschlagen muß? Solche Fälle gibt es hier reichlich. Der Kerl hat mit vierzig ein junges Mädchen geheiratet, hat ein paar Jahre mit ihr geturtelt. Jetzt ist ihm das Mädchen zum Unglück geworden. Deshalb funktioniert hier nichts mehr.”

Agha Wali erwiderte: Sie sind selbst Arbeitgeber und wissen, dass der arme keine Schuld trägt. Die Heirat ist eine Sache, aber hier bei der Arbeit ist er zum Waschlappen geworden.”

Der Schlachthof war etwa fünfzig Meter entfernt von dem Erdwall eines fruchtbaren Tals, das zu den Hühnerdepots führte.

Zwei blutige Hände waren auf der weißen Zementmauer abgebildet, als habe ein langgewachsener Mann mit gespreizten blutigen Fingern die Hand kräftig auf die Mauer aufgedrückt und zwischen dem Finger mit deutlichen Lettern geschrieben:,,In Erinnerung an Zaim”. Daneben war ein kleiner Vogel zu sehen, dessen Flügel mit zarten gebogenen Linien gezeichnet waren. Agha Wali sah das Bild und nickte mit dem Kopf.. Ich wollte über Zaim, der anscheinend früher im Schlachthof tätig war, Fragen stellen. Aber ich ließ es mit Rücksicht auf Agha Wali sein.

Die Hähne und Hennen tobten sich auf dem Zementboden des Depots aus. Um sie herum lagen Körner verstreut.

Kashefi sagte: „Es wird langsam zu spät. Ziehe die Stiefel an und fang an. Die Schürze hängt dort in der Ecke an der Wand. Das Messer liegt neben dem Wasserbehälter. Nimm den Trichter, stell dich neben den Abfluss. Bis du anfängst werden auch die Arbeiter, die für das Rupfen der Federn und Herausnehmen der Gedärme zuständig sind, eintreffen”.

Die Stiefel waren lang und blutig. Sie reichten Agha Wali bis zu den Knien. Er krempelte die Ärmel hoch und schritt durch die herumspringenden Hühner auf die andere Seite des Saals. Er legte das Band der schwarzen Schürze um den Hals, knotete die unteren Bänder am Rücken zu, kam zurück und stellte sich vor uns. Ich wollte lachen, aber er zog die Augenbrauen zusammen. Er klopfte sachte mit dem Griff des Messers an die Beine seines Stiefels: Das Schicksal will also, dass in Zukunft mein tägliches Brot mit Hühnermist vermischt ist. Kashefi sagte:,,Wir warten draußen, gib Acht, dass du sie nicht verletzt, eine Fingerbreite unter der Gurgel.”

Er nahm meine Hand und zog mich hinaus. Die Arbeiter gingen mit ihren dunkelblauen Arbeitsanzligen an uns vorbei, in den Saal.

,,Ich kann nie aus der Nähe zuschauen”, sagte Kashefi,,,das ertrage ich nicht, ihr Gekreische zerreist meine Nerven. Das ist eine harte Arbeit, die nur Schwachsinnige leisten können. Es wäre gut, wenn Agha Wali die Arbeit übernehmen würde.”

Er stellte sich mit dem Rücken zum Fenster, zündete seine Pfeife an und betrachtete die Landschaft. Agha Wali stand mitten im Saal, rieb sanft mit der Spitze des Messers seine Fingernägel.

Ein interessanter Mensch”, sagte ich. Als sein Sohn hörte, dass ich für seinen Vater eine Arbeit suchen wollte. schrieb er mir:,,Wenn Sie meinem Vater helfen wollen, müssen Sie ihm die Entscheidung überlassen, sonst würde er sich beleidigt fühlen. Da er zum Beispiel die Arbeit im Büro nicht mag, nörgelt er ständig bei meiner Mutter und verflucht die Seele ihres Vaters”.

Er drehte sich zum Fenster. Schau ihn dir an. Ein so mächtig gebauter Mann gehört nicht ins Büro. Sein Körper ist für die Arbeit im Schlachthof ideal.

Einer der Arbeiter regulierte die Flamme unter dem Wasserbehälter und dem Apparat zum Rupfen der Federn. Kashefi klopfte an das Fenster und deutete Agha Wali an, dass er beginnen sollte. Agha Wali nahm ein Huhn, das in seiner Nähe stand, hielt es vor seinen Bauch und erreichte mit Anstrengung, dass das Gackern und Flügelschlagen aufhörte. Er packte die Flügel, legte sie unter seinen linken Fuß, fasste die Krone, hielt den Kopf an den Rand der Mulde. Ich erwartete, dass er, wie der Geflügelverkäufer in unserem Bezirk, das Messer quer an den Hals führt und dann den Körper, der sich noch im Blut wälzte mit dem Kopf in den Trichterförmigen

Behälter, dessen schmales Ende zum Abfluss führte, bineinwirft. Dann würde ein Arbeiter das Huhn nehmen, ins kochende Wasser eintauchen, den Blut und Wasser tropfenden Körper auf ein Gerät legen. dessen Propeller sich mit hohem Tempo drehten. Ein anderer Arbeiter würde die Gedärme herausholen, sie sauber waschen und nass in einen der Plastikbeutel stecken, die dort bereit lagen.

Alle Augen richteten sich auf Agha Wali. Er stand über der Henne gebeugt. Das Messer hatte er einen Finger breit unter ihre Gurgel gelegt und starrte sie an. Gott weiß, was er sah und woran er dachte. Kashefi sagte ungeduldig:,,Warum zögert er so lang?”

Wir gingen beide zu Agha Wali. Er sah aus, als wäre er gerade aufgewacht, lächelte und ließ die Henne los. Sie sprang auf und rannte gackernd davon. Ein Hahn begann zu singen und lief ihr nach.

,,Ich habe immer noch keine Gewalt über meine Hände”, sagte Agha Wali. Vielleicht fange ich erst morgen an”. Es war ihm peinlich. Kashefi nahm ihm das Messer aus der Hand und überreichte es dem Arbeiter, der die Plastiktüte bereithielt: „Komm, du hast glück”, sagte er. Der Kerl taugt nichts. Wenn du aber wieder Dummheiten begehst, fliegst du raùs”.

Agha Wali legte die Schürze ab, gab sie dem Arbeiter, nahm seine Brille ab, füllte ein paar Mal seine Hände am Spülbecken mit Wasser und nässte sein Gesicht. Dann schaute er den Arbeiter an, der seine Uhr und seinen Goldring einem Kollegen gab. Auch ich starrte ein Moment lang auf die spitze Nase und die kleinen, erröteten Augen des Arbeiters, der einem Kampfhahn ähnlich sah.

Wir drei kamen aus dem Saal heraus. Kashefi gab dem Arbeiter ein Zeichen. Er sollte beginnen. Der Arbeiter packte einen Hahn am Hals, zog das Messer an die Gurgel, warf Kashefi einen Blick zu und als er dessen erwartungsvollen Blick sah, warf er den Körper auf die Arbeitsplatte und den Kopf gegen das Fenster und begann schallend zu lachen.

Gott habe ihn selig”, sagte Kashefi. „Auch Zaim vergaß manchmal, dass der Kopf nicht getrennt werden soll. Das erste Mal warf er aus Begeisterung den Kopf an die Decke und zerbrach eine Glühbirne.” Wie jemand, der seine Erinnerungen schildert, fuhr er fort:,,Mir gefiel das nicht, aber wenn er sang, widerhallte seine Stimme im ganzen Tal, die Arbeiter hielten inne und lauschten seinem Gesang. Zuletzt war der arme ziemlich still geworden. Man hätte ihn in Ruhe lassen sollen. Dieser verdammte Vorarbeiter hat seine Frau und seine Kinder gequält… Es dämmert schon.”

Er ging in den Saal und legte den geköpften Hahn, der getrennt von den anderen lag, in eine Plastiktüte und brachte ihn heraus. Dann gab er Agha Wali die Tüte und sagte, er möge sein Gast sein. Agha Wali wollte das Geschenk nicht annehmen. Auf Bitten Kashefis willigte er ein, Immer noch war eine leichte Brise zu spüren. Die Büffel brüllten und durchbrachen am Ende des Gartens, wo die hohen Mauern mit den Randbögen standen, die Stille. Einem Hahn, der zu ungewohnter Zeit sang, versagte immer wieder die Stimme. Ein paar trockene Äste. die wie erstarrte Schlangen aussahen, zerbrachen unter unseren Schritten. Der Gestank, den ich zuvor bereits vernommen hatte, reizte meine Nase. Ein Arbeiter brachte die Truthähne in einen besonderen Käfig. Ein Truthahn wollte ihm davon laufen.

Das Licht in den Sälen fiel flimmernd durch die Fenster nach draußen. Die starke Glühbirne, die über dem Teich hing, blinzelte. Der Vorarbeiter stand, angelehnt am Kotflügel von Kashefis Auto, einigen Arbeitern gegenüber und schien ihnen aufgeregt etwas zu erzählen.

Kashefi sagte: „Der Lohn wird nächste Woche ausgezahlt.”

Ich sagte zu Agha Wali:,,IB heute bei uns.”

“Sie sind sehr großzügig. Haben Sie eine Zigarette für mich?“

Ich zündete ihm eine Zigarette an und fragte warum er nachdenklich sei.

Sagen Sie den Kollegen noch nicht, dass ich eine Arbeit gefunden habe”, antwortete er.

Kashefi sagte:,,Frage die Arbeiter, wer in deine Gegend fährt. Manche von ihnen haben einen Wagen.” Der Mond lag wie zerschnittene Silberstreifen auf dem Teich. Das Portal und die bogenförmigen Mauern schienen immer noch schwer und still. Kurz vor dem Tor hupte Kashefi. Der Hund bellte und Nematollah kaun

aus seinem Zimmer hinter dem Vorhang heraus. Er hatte Damenhausschuhe an. Von Atefeh war nichts zu sehen. Kashefi sagte: „Komm morgen gleich in der Frühe zu mir, damit ich sehe, was mit dir los ist.”

Als wir aus dem Garten hinausfuhren, schaute ich nach hinten, um noch einmal Agha Wali zu sehen. Er hatte seine Brille abgenommen und rannte dem Auto nach.

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